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„Negativzinsen“: Eine Erklärung

Als ich das erste Mal über die Idee stolperte, es sollte Geld kosten, wenn man Geld hat, fand ich die Idee auch gewöhnungsbedürftig. Das war 2001. Inzwischen ist es in der Euro-Zone und in Japan Standard: Banken kostet es Geld, wenn sie Geld halten. Wenn eine Geschäftsbank (Sparkasse, Deutsche Bank, Volksbank ...) Geld über Nacht bei der EZB "parken" will, muss sie Kosten in Höhe von 0,4% p.a. der Einlagesumme tragen. Die EZB hat verschiedene Zinssätze, dieser Zins auf Übernacht-Einlagen heißt "Einlagefazilität".

Hört man in den deutschsprachigen Blätterwald wird darüber eigentlich nur gemeckert. Negativzinsen machen die Altersvorsorge kaputt, enteignen die Sparer und überhaupt. Interessant ist, wer da meistens meckert oder als Meckerer zitiert wird: Banker und Wirtschaftsprofessoren. Interessanterweise sind es genau diese beiden Berufsgruppen, die in den vergangenen 10 Jahren am wenigsten zur Lösung der Finanzsystemkrise beigetragen haben. Die Banker haben sich vom Staat aushelfen lassen, indem Milliarden an Steuergeldern und Bürgschaften an sie geflossen sind. Und die meisten Wirtschaftsprofessoren wurden allein von der Tatsache, dass der Zinssatz unter Null sinken kann, quasi überrascht. Es war un-denk-bar in den Kreisen der neoklassisch dominierten Finanz- und Volkswirtschaft. Zinsen unter Null sind für viele Wirtschaftswissenschaftler ein geistiger Affront. Die meisten Wirtschaftswissenschaftler nehmen die Tatsache zwar zur Kenntnis, aber eher so wie die Dursleys zur Kenntnis nehmen, dass in Harry Potters Welt Zaubern wirklich passiert: Sie wollen es nicht akzeptieren, weil es einfach nicht in ihr Weltbild passt.

Erforschen, wie Wirtschaften und Geld funktioniert

Dabei ist die Sache doch ganz einfach: Unsere Volkswirtschaft ist ein Gewebe aus vielen Geschäftsbeziehungen, die auch jeder Nichtunternehmer eingeht. Wer bei dm ein Shampoo kauft, tauscht Geld gegen ein Chemieprodukt und dm kann mit den Einnahmen neue Waren kaufen, alte Kredite ablösen oder Rendite an die Eigentümer ausschütten. Vermutlich legt sich der dm-Eigentümer Götz Werner nur einen sehr kleinen Bruchteil des Geldes, was durch die Kassen seiner Läden fließt, in bar in den Tresor. Aber ein bisschen was wird's schon sein, er wäre kein guter Kaufmann, wenn er kein Bargeld hält. Stellen wir uns aber mal vor, ALLES GELD wäre in Form von Bargeld vorhanden (und es gäbe keine elektronischen Konten) und jede Familie und jedes Unternehmen würde alles "eigenes" Geld mal für 4 Wochen in Scheinen in die Schublade stopfen. Wenn niemand Geld ausgibt, nimmt niemand Geld ein und wenn nichtmal mehr Geld verliehen würde, könnte auch kein Unternehmer Leute oder Zulieferer bezahlen und eine grandiose Krise wäre die Folge. Wirtschaften wäre nahezu unmöglich.

Nun existiert der Großteil des Geldes in der Euro-Zone nicht als Bargeld, sondern als Eintrag in einer Datenbank: Kontensysteme in den Banken sind spezielle Datenbanken, und beispielsweise SAP liefert die Software dafür. Und jeder, der ein Konto hat, hat also Geld in Form eines Datenbankeintrags - das ist die Realität in unserem computerisierten Finanzsystem. Wenn wir "Geld auf dem Konto haben", haben wir also in erster Linie eine Art "Erinnerung unserer Bank": Damit sie's nicht vergißt, hat sie in der Datenbank notiert, wieviel sie uns schuldet. Denn das Geld, das "wir bei der Bank haben", haben wir ihr geliehen! Es sind Ansprüche, die jeder von uns an "seine Bank" hat. Was aber, wenn die Bank für "unser Geld" gar keine Verwendung hat?

Was macht die Bank mit deinem Geld?

Banken verleihen Geld. Oder sie kaufen werthaltige Sachen wie Unternehmensanteile, Aktien, Schuldscheine (Angela Merkels Schatzmeister Wolfgang Schäuble gibt regelmäßig frische Schuldscheine aus). Was aber, wenn es keine lohnenswerten Kreditnehmer gibt? Was, wenn die Werthaltigkeit von Investitionen fragwürdig ist? Unter welchen Umständen würden Sie, liebe Leserin, denn Geld verleihen, wenn es keine Rendite abwirft oder gar die Rückzahlung des Kredits fragwürdig ist?

Wenn aber Banken kein Geld verleihen, sondern es bei der EZB "parken", kriegt die Wirtschaft das Problem, dass ihr Geld "fehlt". Die Geschäftsbeziehungen stocken dann. Also versucht die EZB die Banken davon abzuhalten, zuviel Geld bei ihr zu parken. Also werden "Parkgebühren" erhoben: 0,4% Jahresgebühr auf die Einlagen. Und als Verkehrsteilnehmer finde ich das nur fair! Denn wenn jemand den Radweg zuparkt, will ich auch, dass es ihn teuer zu stehen kommt, den Verkehrsfluss zu bremsen. Es heißt nicht umsonst: Taler, Taler, du musst wandern und nicht Euro, Euro lieg im Tresor rum.

"Wachstum, Wachstum über alles" war gestern

Allerdings haben die Banken und wir alle ein Problem! Es ist in einer Postwachstumsökonomie eben nicht mehr so einfach, Renditen größer 0% einzusammeln. "Postwachstum" heißt "nach dem Wachstum" und es ist offensichtlich, dass die Industriewirtschaften des 20. Jahrhunderts zu Beginn des 21. Jahrhunderts eine massive Sättigung erreicht haben! Die Wohnzimmer sind voll, die Keller sind voll, die Terminkalender sind voll, die Straßen stehen voller Autos, Läden und Läger sind voll: So schnell können wir nicht kaufen, wie die durchroboterisierte Industrie die Waren in die Schaufenster kracht. Wir haben alles! Und daran ändert auch ein neues iPhone wenig. Wo aber die Wirtschaft auf dem Höhepunkt ihres Outputs ist und die Haushalte auf dem Höhepunkt ihrer Lagerhaltung sind, da kann eine Volkswirtschaft eben kaum noch wachsen. Vielleicht (Oh, welch gotteslästerliche Wort!) schrumpft sie sogar mal! Aber davor behüte uns der Gott der Ökonomie, warnen uns die Wirtschaftsjournalisten und die Wirtschaftsprofessoren und sie haben durchaus ein bissl Recht: Eine schrumpfende Wirtschaftslage kann sich zum Teufelskreis entwickeln. Leider ist das Schimpfen dann aber meist auch das höchste der Gefühle, was aus den Elfenbeintürmen der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultäten kommt. Was hilfreich wäre, wäre forschende Fantasie, die uns ein Bild einer Postwachstumsökonomie zeichnet, mit dem wir künftig arbeiten können! Statt dessen halten die meisten Forscher am Weltbild des 20. Jahrhunderts fest, in dem "Negativzinsen" ein Nicht-Wort war und in Theorien schlicht nicht vorkam. Die Nullgrenze zu unterschreiten ist ein so provokanter Akt, dass die EZB der Gotteslästerei angeklagt werden müßte, wäre sie selbst nicht eine so gottähnliche Institution im Finanzsystem. So mancher scheint deshalb an die Magie des Hinfortwünschens zu glauben um die kognitive Dissonanz zu heilen und meint, wenn wir nur die Negativzinsen austreiben könnten, wäre ökonomisch wieder alles gut. (Vielleicht wollen die Hinfortwünscher vielmehr verhindern, ihr ökonomisches Fehlbild anpassen zu müssen - das macht man ja auch ungern, sich von liebgewonnenen Weltbildern verabschieden.) Dabei sind "Geldhaltekosten", wie man "Negativzinsen" korrekterweise nennen müßte, seit Sommer 2014 geldpolitische Realität. 2 Jahre!!

Ja: Geldhaltekosten torpedieren das Geschäftsmodell der Geschäftsbanken. Wo bislang Kontoführungsaufwand quersubventioniert wurde durch Zinseinnahmen aus anderen Geschäften, tendieren die Banken nun dazu, den Aufwand durch Kontoführungsgebühren in Rechnung zu stellen. (SZ: Bayerische Bank verlangt Strafzinsen von Privatkunden. Man beachte das "Wording", das viel über die Haltung des Autors aussagt: "Strafzinsen") Wo Bankkunden selbst soviel Geld bei der Bank geparkt haben, dass sie einen spürbaren Anteil an den kostenintensiven (!) Übernacht-Einlagen der Bank bei der EZB darstellen, wenden die Banken das "Unter-Null-Prozent-Konzept" auch selbst gegenüber den Kunden an. Und das ist richtig so! Denn nimmt man die Idee von der Bank als vermittelnder Dienstleister ernst (wie es manche Wirtschaftsstudenten idealisiert zu hören kriegen), so müssen natürlich die Regeln des Systems für alle Geldnutzer gleichermaßen gelten. Und wenn die Zentralbank die Leitzinsen unter Null senkt, so will sie natürlich, dass diese Systemregel Wirkung zeigt: Nicht nur die Banken sollen das Geld im Fluss halten, sondern auch die Geldhalter wie du und ich - doch insbesonders all die Millionäre und Milliardäre, deren Handeln aufgrund ihrer Geldmengenmacht viel wirksamer ist als deines und meines. Geldhaltekosten müssen sich also durchaus auf die Geldnutzer hinter dem Bankensystem auswirken, sonst wäre die Geldpolitik der EZB ja wirkungslos.

"Enteignet die Sparer"

Ist die Kritik also gerechtfertigt, dass "Negativzinsen" die Sparer enteignen?

Ich muss die Antwort von hinten angehen.

Wer bislang glaubte, Fondsparpläne, Rentenversicherungen, Betriebsrenten und auch alle möglichen Altersanlageformen werfen tatsächlich dauerhaft einen Zinssatz größer Null ab,

  • der hat in Mathematik und Geschichte nicht gut aufpasst
  • und übersieht, dass Geldanlagen verkauft und beworben werden wie jedes andere Produkt: Per Emotion, nicht durch Tatsachen.

Dauerhafte Verzinsung größer 0% führt zu einem Zinseszinseffekt, der in der Geschichte regelmäßig zu Zusammenbrüchen der verwendeten Finanzsysteme führte. Und Zusammenbruch bedeutet letztlich, dass Gespartes und Schulden zusammengestrichen wurden und den Gesamtzinssatz wieder auf Null runtergerechnet hat. Wer annimmt, das heutige Finanzsystem sei von diesen Risiken befreit, ist naiv. Heißt: Die Enteignung der Sparer begann schon dort, wo wir unser Geld den Finanzmaklern und Finanzfirmen gegeben haben, weil wir ihren Versprechungen glaubten, es uns mit Rendite zurückzuzahlen. Die aktuelle EZB-Politik ist nicht Ursache von Problemen mit den Sparvermögen, sie macht nur sichtbar, was sowieso im System angelegt ist: Dass es keine risikolosen Geldanlagen gibt, sondern Verluste zum Geldsparen dazugehören, so wie Kartoffeln einkellern verlustbehaftet ist. Wer uns jemals was anderes erzählt hat, hat aus Verkaufskalkül gelogen!

Und das Ende der Geschichte?

Manche glauben, die EZB würde demnächst die Zinsen wieder anheben und über die 0%-Marke ziehen. Ich habe da Zweifel. Da ist einerseits die Bank of Japan, die ja erst im Januar 2016 nachgezogen hat und ebenfalls mit Unter-Null-Parametern experimentiert. Die Branche spekuliert, ob die Zinssätze morgen weiter gesenkt werden. Hauptgrund ist aber: Wir sollten uns daran gewöhnen, in einem Postwachstums-Fluidum unterwegs zu sein. Relevantes Wirtschaftswachstum mag es noch in der Mongolai geben, in Angola oder Kambodscha, aber hierzulande? Wie aber sieht ein zugehöriges Postwachstums-Finanzsystem aus? Vermutlich anders, als wir es gewohnt sind - und Geldhaltekosten gehören ganz bestimmt dazu, um das System funktionsfähig zu halten. Vielmehr dürften die Maßnahmen der EZB, das Geld in Umlauf zu halten, noch weitergehen. Denn um dem Boom der Tresorbranche zu begegnen und Geld tatsächlich in Tresoren verriegeln zu lassen, werden wir eine Diskussion um Geldhaltekosten auf Bargeld bekommen. Im Mai habe ich das beim ersten Wirtschaftswissenschaftlichen Kolloquium an der TU Dresden schon gesagt, nun kommt Kenneth Rogoff mit der Vorausschau um die Ecke, dass wir Geldhaltekosten von -6% erleben können und dass Bargeld am besten auf kleine Scheine bis 20 Euro begrenzt sein sollte. Man sieht: Wenn Forscher mal ihre Fantasie nutzen, können noch interessante Vorschläge dabei rauskommen. Das Ende der "Negativzins-Geschichte" ist daher nicht so recht absehbar. Vielmehr bleibt zu hoffen, dass der interessante ökonomische Blickwinkel, der sich durch das Durchbrechen der Nulllinie ergibt, zunehmend an den Hochschulen diskutiert wird. Als Teil des offiziellen Lehrplans und nicht nur in den kleinen Zirkeln der Vorausdenker. Und dass die Wirtschaftsjournalisten vom Geldpolitikbashing mal umschalten aufs Wirtschafterklären. Damit die Produktverkäufer der Finanzbranche mehr Fachwissen als Emotion in ihre Verkaufsgespräche legen müssen, weil das Gegenüber mitreden kann.

 

PS: Kann mir jemand erklären, warum die Deutsche Finanzagentur, über die Schatzmeister Schäuble seine Bundesanleihen verkauft, für US-Amerikaner, Kanadier, Japaner, Hongkonger und Australier nicht zugänglich sein darf?

1 Kommentar to “„Negativzinsen“: Eine Erklärung”

  1. Bernd Engelking sagt:

    Leider ist ihr Ansatz schon falsch, entweder bewusst oder unbewusst.
    Fossile Energieträger waren und sind nie Ursachen des Wachstumszwangs.
    Durch die Erwähnung vor TT ist für mich klar, dass sie das bestehende Wirtschaftssystem nicht in Frage stellen wollen. Der Ansatz der Postwachstumsökonomie tut das sehr Wohl und will sich auch mit den Regeln des Geldsystems beschäftigen. Nur so kann man die regionalen Wirtschafträume stärken. Ein anderer Ansatz sind im derzeitigen System die Regionalwährungen. Dieser löst die globalen Probleme der Wirtschaftsweise jedoch nicht, sondern würde sie sogar eher zementieren. Es darf nicht noch mehr gewachsen werden, egal wie.

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