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Wirtschaft zwischen Konkurrenz und Kooperation

Das Bild einer Marktwirtschaft ist oft geprägt von hemmungsloser Konkurrenz. Es gibt diese Konkurrenz in besonderem Maße und sie tritt vor allem zwischen Unternehmen oder zwischen Angestellten auf, die sich letztlich auf derselben wirtschaftlichen Ebene bewegen. Sie konkurrieren um Marktanteile, die naturgemäß endlich und damit - auf Dauer betrachtet - knapp sind oder um ebenso knappe Ressourcen innerhalb oder außerhalb eines Unternehmens.

Doch Konkurrenz ist nicht das einzige Prinzip. Selbst "am Markt" existiert Kooperation. Jeder Hersteller ist beispielsweise darauf angewiesen, daß seine Zulieferer wunschgemäß liefern und jeder Zulieferer ist darauf angewiesen, daß jeder Abnehmer zeitgenau zahlt. Bei Nichteinhaltung dieser Kooperation droht dem einen Produktionsausfall und dem anderen Zahlungsunfähigkeit.

Jedes Unternehmen selbst nutzt Kooperation. Würden die Mitarbeiter eines Unternehmens nicht miteinander sondern gegeneinander arbeiten, so wären Unternehmensziele unerreichbar. Vielmehr sind es gerade die ineinandergreifenden Aktivitäten einzelner Mitarbeiter oder Abteilungen, die komplexeste Produkte und Dienstleistungen entstehen lassen.

Außer für Selbstversorger gilt für alle Wirtschaftsakteure: Jede Leistung, die durch den Prozess namens Marktwirtschaft erbracht wird, wird nie für den Leistenden selbst erbracht, sondern immer für andere. Schließlich wird der Kunde bedient und nicht der Leistende.

Eine Leistung/Ein Produkt wechselt nur dann seinen Besitzer, wenn der Vorteil den Tauschgegenstand zu nutzen ("Gebrauchswert") größer ist, als der Nachteil, das dafür Hergegebene nicht mehr nutzen zu können. Da dies offenbar für beide Seiten eines Kauf- bzw. Tauschvorganges gilt, entsteht ein größerer Nutzen, als ohne den Austausch – sowohl individuell als auch gemeinschaftlich.

"Markt" beinhaltet in diesem Sinne bereits das Konzept der "Symbiose", bei dem zwei Symbionten durch ihre Beziehung zueinander Vorteile haben. Die Vorteile ergeben sich durch Zusammenarbeit bei der Arbeit an einem komplexen Endprodukt und ist Ergebnis des Prozesses zunehmender Spezialisierung und Arbeitsteilung in der Wirtschaft.

Es lassen sich also tagtäglich Kooperationsvorgänge in der Wirtschaft beobachten, nämlich bei jedem Kauf und Verkauf, bei der Zusammenarbeit von Menschen innerhalb von Unternehmen sowie der Zusammenarbeit zwischen Unternehmen über Lieferanten- oder Subunternehmerverträge.

Open Source: Kooperation spezial

Die Entwicklung von Open Source-Software1 ist ein Beispiel für ganz besondere Kooperation in der Wirtschaft. Open Source-Software kann frei genutzt, frei kopiert und frei verändert werden und ist ohne Lizenzgebühren nutzbar. Diese Programme werden von einer Vielzahl von Menschen und Unternehmen rund um den Planeten (weiter-)entwickelt. Gemeinsam arbeiten sie an den Werkzeugen, die sie selbst nutzen oder anderen zur Verfügung stellen. Die Kooperation wird dabei sogar ausgeübt, ohne daß man sich persönlich kennt oder am gleichen geografischen Ort sitzt. Die Kommunikation zur Abstimmung der Aktivitäten erfolgt meist über das Internet, welches die Mitarbeiter an den Projekten vernetzt und verbindet.

Die Ergebnisse der Open Source-Softwareentwicklung sind nicht nur für jene Akteure nutzbar, die an der Programmierung mitgewirkt haben sondern auch für alle anderen, die die entstandenen Computerprogramme nutzen wollen. Der durch diese Form der Kooperation entstehende Nutzen kommt demnach einer viel bereiteren Menge an Nutzern zugute und darf bezogen auf den Aufwand im gesellschaftlichen Kosmos als außerordentlich nutzbringend betrachtet werden.

Wirtschaft als Netzwerk

Immer bedeutender wird es, Wirtschaft als Netzwerk zu verstehen und zu betrachten. Ein Netzwerk ist ein Gebilde, in welchem eine unterschiedliche Zahl an Knoten miteinander durch Verbindungen verknüpft sind. Auf wirtschaftlicher Ebene sind die Knoten die Wirtschaftsakteure und die Verbindungen zwischen ihnen sind die durch Austauschprozesse geformten Geschäftsbeziehungen. Jeder Wirtschaftsakteur kann eine Vielzahl von Geschäftsverbindungen pflegen. Jeder Kauf oder Verkauf eines Produktes oder einer Dienstleistung verstärkt bestehende Beziehungen oder lässt neue Beziehungen entstehen: das gilt sowohl für den Kauf des Frühstücksbrötchens auf privater Ebene wie den Kauf einer Maschine auf unternehmerischer Ebene.

Die globale Wirtschaft kann als weltumspannendes Netzwerk von Milliarden Wirtschaftsakteuren und deren Geschäftsbeziehungen verstanden werden. Die Ergebnisse wirtschaftlichen Handels auf unserem Planeten werden dabei von uns selbst genutzt: Güter und Dienstleistungen sind die Früchte des gemeinsamen Wirtschaftens. Auf lokaler und regionaler Ebene verdichtet sich das globale Netz zu Clustern, also sehr engmaschigen Netzwerkstrukturen.

Innerhalb dieses globalen Netzes sind alle Menschen miteinander verbunden. Jeder, der am wirtschaftlichen Leben durch Austausch von Gütern, Leistungen oder Geld teilnimmt, verbindet sich mit diesem Netz und profitiert von seinem Entwicklungsstand – er kooperiert also mit dem Netzwerk und wird zugleich ein Teil von ihm.

Innerhalb von Netzwerken gelten verschiedene Gesetzmäßigkeiten. Ein Netzwerkeffekt ist beispielsweise, daß der Nutzen eines Netzwerkes immer größer wird, je mehr Akteure Teil von ihm sind. Ein leicht verständliches Beispiel ist das Telefonnetz: Ein einzelnes, unvernetztes Telefon ist nutzlos, 2 Telefone ermöglichen Kommunikation zwischen 2 Teilnehmern und je verbreitet Telefone sind, umso nützlicher wird das Telefonnetz und damit das einzelne Telefon. Der Nutzen steigt dabei überlinear an. Auf das Wirtschaftsnetz übertragen bedeutet eine Vielzahl von teilnehmenden Wirtschaftsakteuren eine Vielfalt an verfügbaren Waren und Diensten, die erst durch Spezialisierung, Arbeitsteilung und Leistungsaustausch ermöglicht werden. Konkurrenz und Gegeneinanderarbeiten tritt dabei nur in Teilbereichen des Wirtschaftssystems auf, es dominiert eher der Hang zur Zusammenarbeit.

Netzbewusstsein

Netzartige Gewebe kennzeichnen unsere Welt entscheidend. Bei genauer Betrachtung läßt sich feststellen, daß alles mit allem zusammenhängt und in Verbindung steht. Auf wirtschaftlicher Ebene ist es relativ einfach, dieses Beziehungsnetzwerk zu erkennen: Man braucht nur den Geldflüssen zwischen den einzelnen Wirtschaftsakteuren zu folgen. Trotz des dominierenden Einflusses und der allumfassenden Strukturgebung durch Netzwerke entsteht erst langsam ein Bewusstsein für diese Organisationsstrukturen: Netzbewusstsein2. Je durchdringender sich das Bewusstsein für Beziehungsgeflechte entwickelt, umso deutlicher wird werden, daß symbiotische Beziehungen, die Kooperation viel näher sind als Konkurrenz, enorm häufig sind. Auf das wirtschaftliche Geschehen wird ein zunehmendes Netzbewusstsein enormen Einfluss haben, denn es wird das partnerschaftliche Prinzip gegenüber dem bislang dominierenden profitorientierten Prinzip stärken.

Netzbewusstsein

Profitorientiertes Prinzip vs. Partnerschaftliches Prinzip

Wer Profit anstrebt, will ihn vor allem für sich selbst. Profit für die anderen nutzt nur indirekt. Ohne Netzbewusstsein wird dieser indirekte Nutzen für jene, die besonders profitorientiert wirtschaften, als unwesentlich angesehen.
Das profitorientierte Prinzip hat uns weit gebracht: Es hat uns Erfindungen beschert und einzelnen Individuen und Regionen enormen Reichtum. Andererseits hat seine Dominanz uns auch dazu gebracht, unseren Planeten unverhältnismäßig auszunutzen und zu gefährden. Das Artensterben wird genauso wie der Klimawandel Rückkopplungen auf das menschliche Leben haben, deren Ausmaß bislang nicht absehbar sind.

Um einerseits die Folgen dieser Entwicklung zu mildern und andererseits ein Gleichgewicht herzustellen, wird das partnerschaftliche Prinzip an Gewicht gewinnen. Wie bereits gezeigt existiert Kooperation in sehr vielen Aspekten auch im Wirtschaftsleben, partnerschaftlich zu wirtschaften ist also nichts neues. Neu dürfte sein, wie bewusst wir diese Erkenntnis im täglichen Leben und im Rahmen unseres Wirtschaftssystems anwenden.

Das Marktprinzip, welches insbesondere mit Konkurrenzverhalten verbunden ist, hat uns weit gebracht und es wird weiterhin Anwendung finden. Man könnte sagen, daß der Markt half, Knappheiten durch die Belohnung des Problemlösers zu vermindern. In vielen Bereichen (vor allem innerhalb der industrialisierten Welt) ist kaum Knappheit an materiellen Gütern zu spüren, vieles ist im Überfluss vorhanden. Man könnte daraus schlussfolgern, daß neue Ansätze nötig sind für die Verwaltung des Nicht-Knappen. Hier könnte das eng mit Kooperation verbundene Solidarprinzip ansetzen.

Solidarprinzip & Marktprinzip

Die Erkenntnisse der experimentellen Ökonomie und der Neuroökonomik zeigen, daß Fairness ein Grundprinzip menschlicher Gesellschaften ist. Demnach hat jeder Mensch eine Unfairness-Aversion, lehnt also unfaires Verhalten anderer Akteure ab. Die Experimente zeigen, dass die meisten Menschen sogar gewillt sind, Verluste zu akzeptieren, um unfaires Verhalten anderer Akteure zu bestrafen.(siehe Arnim Falk "Homo Oeconomicus vs. Homo Reciprocans")3 Es stellt sich die Frage, wie die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen sein sollten, um Fairness und Kooperation – oder dort wo es erwünscht ist, auch Konkurrenz – zu fördern.

Kooperation und Konkurrenz fördern

Spieltheoretische Experimente zeigen, daß Kooperation selbst dann entstehen kann, wenn das Umfeld von egoistischem Verhalten dominiert wird. Beeinflusst wird die Entstehungswahrscheinlichkeit kooperativen Verhaltens von den herrschenden Rahmenbedingungen. Diese Rahmenbedingungen werden in einer demokratischen Gesellschaft durch Gesetze und Regeln vorgegeben, die sich die Bevölkerung oder Teilgruppen auferlegt. Wird Kooperation als wünschenswert und förderwürdig angesehen, so kann die Gesellschaft diese Rahmenbedingungen entsprechend definieren.
Nach Robert Axelrod4 kann Kooperation wie folgt gefördert werden:

  1. Erweitere den Schatten der Zukunft: Die Zukunft muss relativ zur Gegenwart wichtig genug sein. Für die Beziehung zwischen Menschen bedeutet dies, dass sie erwarten müssen, auch in Zukunft öfter miteinander zu tun zu haben. Interaktionen dauerhafter zu machen und sie häufiger stattfinden zu lassen fördert Kooperation.
  2. Ändere die Auszahlungen: Der langfristige Anreiz zur Kooperation muss größer sein als der kurzfristige Anreiz, zur Nicht-Kooperation. Für staatliche Instanzen ergibt sich hier Ansatzmöglichkeiten auf der Ebene der Besteuerung, für private Instanzen auf der Ebene der Gebührenstrukturen.
  3. Unterweise die Menschen, sich umeinander zu kümmern: Wird deutlich, wie wichtig und wertvoll Kooperation in unserer Gesellschaft ist, ist es nützlich, dies zu kommunizieren. Menschen, denen diese Sichtweise bekannt ist, neigen natürlich eher dazu, sie sich zunutze zu machen: Indem sie kooperativ sind.
  4. Unterweise in Sachen Reziprozität: Gesamtgesellschaftlich ist es nützlicher, wechselseitige Interessen zu fördern statt die Ausbeutung der Schwäche anderer zu nutzen. Win-Win-Situationen können dadurch provoziert werden, indem die gegenseitige Abhängigkeit und die sich daraus ergebenden Wechselwirkungen bewusst gemacht werden (Netzbewusstsein). Reziprozität in seiner einfachsten Form findet sich in dem Grundsatz: "Behandle andere so wie du möchtest, daß sie dich behandeln."
  5. Verbessere die Erinnerungsfähigkeit: Nicht immer werden Ausbeutungs-Strategien als solche erkannt und nicht immer erinnert sich das Individuum an frühere Interaktionen mit anderen Menschen. In Organisationen gilt darüber hinaus, daß Menschen ihre Posten wechseln und damit undokumentierte Erinnerungen über Kooperationspartner verlorengehen. Dem kann beispielsweise mit Dokumentationssystemen begegnet werden.

Reziprozität

Armin Falk betont darüber hinaus, daß die Aufwertung kleiner politischer Einheiten im Sinne des Subsidiaritätsprinzips zu einer Verstärkung von Reziprozität führt. Die Organisation von Gesellschaften in für das Individuum überschaubaren Räumen könnte Kooperation also beflügeln.

Nicht in allen Bereichen wirtschaftlichen Lebens ist Kooperation erwünscht. Die Aufgabe von Kartellämtern ist es beispielsweise, Preisabsprachen oder Monopolbildung zu verhindern, um Machtungleichgewichte innerhalb des Wirtschaftssystem auszugleichen oder gar nicht erst entstehen zu lassen. So wie Rahmenbedingungen zugunsten kooperativen Verhaltens gesetzt werden können, können sie auch konkurrenzfördernd gestaltet werden. Es gilt herauszufinden, in welchen gesellschaftlichen Räumen eher Kooperation und in welchen Konkurrenz erwünscht ist.

Fazit

Wirtschaft läßt sich nicht auf das Konkurrenzprinzip reduzieren. Sowohl Konkurrenz als auch Kooperation spielen im Wirtschaftsleben eine Rolle. Dies wird umso deutlicher, je mehr Wirtschaft als Netzwerk verstanden wird und sich ein Bewusstsein für diese Netzstrukturen entwickelt. Je nach Fall kann es sinnvoll sein, Kooperation oder Konkurrenz zu fördern. Dafür gibt es Empfehlungen aus der Spieltheorie und der experimentellen Ökonomik, die vor allem die Reziprozität der Beziehungen zwischen Menschen betonen.

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Fußnoten

Quellen + Literatur:

  1. http://www.regionalentwicklung.de/regionales-wirtschaften/technologien-rohstoffe/opensource-software-als-ressource-in-regionalen-wirtschaftskreislaeufen
  2. Norbert Rost, 2008: Homo Oeconomicus - Eine Fiktion der Standardökonomie, Zeitschrift für Sozialökonomie 158/159
  3. Armin Falk, 2001: Homo Oeconomicus vs. Homo Reciprocans: Ansätze für ein neues wirtschaftspolitisches Leitbild
  4. Robert Axelrod, 1984: Die Evolution der Kooperation, ISBN: 3-486-53996-5

Norbert Rost, www.regionales-wirtschaften.de, letzte Aktualisierung: 25.11.2008