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Energieregionen – Dezentrale Energieerzeugung trifft regionale Wertschöpfung

Wer Klimawandel und Ressourcenknappheit auf globaler Ebene begegnen will, ist zwangsläufig auf das Lokale angewiesen. Denn die Nutzung erneuerbarer Energiequellen, wie sie durch Sonne, Wasser, Wind und Biosphäre bereitgestellt werden, ist nur dezentral möglich. Egal ob National- oder Globalregierung, wer Entscheidungen zugunsten einer Energiewende trifft, muss sich mit den Regionen als Handlungsraum auseinandersetzen.

Fossil: zentral, Erneuerbar: dezentral

Zweifellos verändert die Umstellung der Energieerzeugung auf dezentrale Strukturen die Energiewirtschaft. Seit dem Beginn der Industrialisierung war Energieerzeugung von einer Zentralisierung geprägt. Da fossile Ressourcen nicht gleichmäßig auf dem Planeten verteilt sind, mussten Förderung und Abbau sich auf relativ wenige Förderstellen beschränken: Kohle gibt es genauso wie Erdöl nur in bestimmten Regionen, der Energieverbrauch findet dann aber viel flächendeckender statt. Auch die Atomenergie wurde zentral genutzt, weil einerseits auch Uran nur an wenigen Orten der Welt zu finden ist und andererseits die Kraftwerke bestimmte geografische Voraussetzungen benötigen (z.B. Flusswasser zum Kühlen) und so teuer sind, daß die Produktion von Kernenergie in wenigen großen Kraftwerken gebündelt wurde. Diese Zentralisierung der Produktionsstrukturen ging einher mit einer Konzentration der Eigentumsstrukturen.

Eine Dezentralisierung der Energieerzeugung bricht diese Eigentumsstrukturen auf. Heute kann jeder Mensch Produzent von Energie werden. Solaranlagen sind nur darauf angewiesen, daß die Sonne scheint - und das tut sie überall auf dem Planeten. Natürlich ist auch die Sonneneinstrahlung unterschiedlich, je nachdem ob man Sonnenenergie am Äquator oder an den Polen ernten will. Gegenüber der Erzeugung auf Basis fossiler Ressourcen ermöglichen erneuerbare Energiequellen jedoch eine viel dezentralisiertere Produktionsweise und damit eine viel breitere Teilhabe der Bevölkerung an den Produktionserlösen.

Energieimport vs. Selbstversorgung

Zentrale Energieerzeugung bedeutet, daß die Verkaufserlöse dorthin fließen, wo die Energie erzeugt wird bzw. wo die Ressourcen dafür herkommen. Milliarden Euro transferieren beispielsweise die Öl-Verbrauchsländer jährlich in die Öl-Erzeugungsländer. Dies ist aus Sicht der Erzeuger natürlich von Vorteil und durchaus wünschenswert, speziell wenn es sich um Länder handelt, die einen großen Aufholprozess vor sich haben - wie beispielsweise das Ölförderland Nigeria. Doch steht dem Kaufkraftzufluss der einen Region immer ein Kaufkraftabfluss anderer Regionen gegenüber. So wurde in einer Studie für Nordhessen beispielsweise erhoben, daß allein im Landkreis Marburg-Biedenkopf in Nordhessen jährlich ca. 500 Millionen Euro durch Energieimporte abfließen. Für einen Landkreis mit etwa 250.000 Einwohnern ist das eine mehr als beachtliche Zahl. Die Situation dauerhaften Kaufkraftabflusses durch andauernden Energieimport dürfte die meisten Regionen Europas betreffen.

Selbstversorgung

Eine Umstellung auf dezentrale Energieerzeugung bedeutet nun für diesen wie auch für jeden anderen Landkreis, daß eben jene Importe als Potential aufgefasst werden dürfen: Als Umsatz-Potential, was derzeit aus den Regionen abfließt, was künftig jedoch in den Regionen verbleiben könnte, wenn es gelingt, die Energieversorgung aus der Region selbst heraus zu organisieren. Die Regionen stehen hierbei vor der Fragestellung: Energieimport vs. Selbstversorgung.

Importzwang verursacht Exportzwang

Fossile Energieträger sind grundlegende Basis unserer Wirtschaftsform geworden. Keine Region kann heute ohne Erdöl-Produkte als Treibstoff, als Kunststoffe der chemischen Industrie oder als Heiz-Rohstoff auskommen. Jede Region ist angewiesen auf den Import des Rohstoffes. Doch dieser Importzwang ruft einen Exportzwang hervor. Da die Kaufkraft, die in einem Jahr abfließt, auch im kommenden Jahr für den Kauf der Energieprodukte benötigt wird, sind die Regionen gezwungen, Güter zu produzieren, die sie auf dem Weltmarkt anbieten können. Gelingt es nicht, Export-Produkte herzustellen, die einen Kaufkraftzufluss in die Region ermöglichen, trocknen die Finanzströme in den Regionen allein deshalb aus, weil Kaufkraft für den Energieimport abfließt. Dem Importzwang von Energie folgt also ein Exportzwang und damit der Aufbau von Strukturen in den Regionen, die in erster Linie dem Export dienen und damit stark abhängig sind von weit entfernten Entwicklungen. Bricht die globale Nachfrage ein, wirkt dies auch auf die exportorientierten Strukturen der regionalen Wirtschaft zurück.

Regionale Wertschöpfung

Die Zielsetzung einer Selbstversorgung mit Energie macht also aus mehrfacher Hinsicht Sinn. Eine Region, die sich selbst mit Energie versorgen kann, entzieht sich dem Exportzwang. Das heißt, daß die Regionen zwar Wirtschaftsstrukturen aufbauen können, die für den globalen Markt produzieren, aber sie müssen dies nicht tun und machen sich somit von einem Zwang frei, der sich aus der zentralistischen Energieproduktion ergibt.

Wird Energie in einer Region zugleich erzeugt und verbraucht wird keine Kaufkraft aus der Region hinaus transferiert. Jeder Euro Kaufkraft, der nicht für den Energieimport benötigt wird, verbleibt in der Region. Er fließt an jene Energieproduzenten, die dezentral vor Ort Energie verfügbar machen. Wirtschaftlich gesehen ist es dabei unerheblich, ob Energie in Form von Elektroenergie gewonnen wird, als Wärme oder in anderer Form nutzbar wird. Wichtig ist, daß bei dezentraler Erzeugung die Ausgaben für Energie in der Region verbleiben. Multiplikatoreffekte sorgen dafür, daß jede Geldeinheit, die regional ausgegeben wird, mehr als eine Einheit Wertschöpfung hervorruft. Regionale Ausgaben für Energie fließen zumindest zu einem Teil auch vom Energieproduzenten wieder zu Wirtschaftsakteuren in der Region. Und ein Teil jedes Einkommens fließt entlang der Wertschöpfungsketten weiteren Akteuren zu. 1 Euro zusätzliche Ausgaben in einer Region können also ein Mehrfaches an regionaler Wertschöpfung auslösen - ein für Rheinland-Pfalz ermittelter Wert geht von einem Multiplikator von etwa 1,4 aus: 1 Euro löst 1,4 Euro Wertschöpfung aus. Aus 500 Millionen Euro Kaufkraftabfluss, wie im Landkreis Marburg-Biedenkopf, werden also bei einem Multiplikatoreffekt von 1,4 700 Millionen Euro regionale Wertschöpfung. Ein Potential, was für alle regional ansässigen Unternehmen interessant sein dürfte.

Regionale Wertschöpfung wird ebenfalls befördert, wenn die Anlagen, die zur dezentralen Energieerzeugung notwendig sind, hergestellt, montiert und gewartet werden. Noch macht die Erzeugung von erneuerbaren Energien global nur einen Bruchteil der Gesamtenergieerzeugung aus. Die Strukturen, die zur Umrüstung notwendig sind, müssen erst geschaffen werden bzw. beginnen gerade erst zu wachsen. Im Gegensatz zur früheren Installation weniger gigantischer Kraftwerke, die Arbeitsleistung und Wertschöpfung an wenigen zentralen Punkten des Planeten bündeln, führt die Nutzung erneuerbarer Energien zu viel breiteren Installationsmassnahmen. In jedem Dorf und auf jedem Dach werden Kraftwerke installiert. Dafür werden viele Handwerker gebraucht, die meist keine langen Anfahrtswege haben, sondern aus der Region kommen. Der Umstieg auf dezentrale Energieversorgungsstrukturen benötigt und fördert also auch dezentrale Wertschöpfungsstrukturen, von denen alle Regionen profitieren.

Kommunal oder regional?

Region vs. Kommune

Die meisten Entscheider, die über die strategische Umsetzung solcher Fragen entscheiden, sitzen in den Kommunen. Bürgermeister und die Gemeinde- und Stadtverwaltungen können auf lokaler Ebene die meisten Impulse geben, indem sie die Bürger zur Installation von Solaranlagen auf Dächer bewegen, indem sie Energiespar-Anreize in Form von Fördergeldern geben, indem sie mit Stadtwerken sprechen oder Einfluss auf die Raumplanung nehmen, die Flächen für Windkraft- oder andere Anlagen ausweist. Und doch steht die Frage, ob Kommunen allein für sich die Selbstversorgung vorantreiben sollten.

Bedenkt man, daß viele Kommunen, vor allem größere Städte, oft gar nicht ausreichend Fläche im Stadtgebiet haben, um die Energieversorgung der dichten Bevölkerung zu gewährleisten, wird deutlich, daß die Kooperation von Kommunen in Form von Regionen Sinn macht. Ein gemeinsames Zuarbeiten auf höhere Eigenproduktion bei sinkendem Energieverbrauch ist vielversprechender, als wenn jede Kommune "ihr eigenes Süppchen kocht". Dies dürfte einer der Gründe sein, weshalb immer mehr Kommunen sich hinter dem Schlagwort "Energieregion" versammeln und in Kooperation miteinander das Energie-Problem angehen.

Fazit

Die Strukturen zur Energieerzeugung wandeln sich. Im Zuge von Ressourcenknappheit und Klimawandel werden erneuerbare Energiequellen dezentral "angezapft". Dies erlaubt nicht nur, daß Regionen zu Selbstversorgern in der Energieversorgung werden können, es stellt zugleich ein enormes Potential für die regionalen Unternehmen dar. Die Infrastrukturen zur Energieerzeugung müssen aufgebaut und gewartet werden und die Kaufkraft, die durch bisherigen Energieimport abgeflossen ist, könnte künftig innerhalb der Region wirksam werden. Diese Entwicklung dürfte die Wertschöpfung in den regionalen Strukturen vertiefen und der Regionalwirtschaft zusätzliche Impulse geben.

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Fußnoten

Norbert Rost, www.regionales-wirtschaften.de, letzte Aktualisierung: 12.11.2009